Alte Familienschätze der Mennoniten

(die mit * gekennzeichneten Artefakten sind auf den Fotos abgebildet, die aus dem Familienbesitz stammen, s. dazu Bilder)

Von einer Generation zu der anderer werden in unseren Familien außer Fotos auch die alten Bibeln, Gesangbücher aufbewahrt und weiter gegeben. Dazu gehören “Gesangbuch zum gottesdienstlichen und häuslichen Gebrauch in den Mennoniten-Gemeinden Russlands” gedruckt in Odessa oder Neu – Halbstadt, die man relativ noch häufig finden kann, “Liederkästlein von Hiller”* (das Büchlein ist auch heute noch im Buchhandel erhältlich), „Schatzkästchen“, „Frohe Botschaft in Liedern“, „Heimatklänge“, „Liederperlen“[1] etc.In den alten Briefen wurden oft die Meinungen über diese Gesangbücher ausgetauscht.[2]
Ohne PC und Kopierer vervielfältigen der Texte und Lieder war früher sehr aufwendig, brauchte viel Zeit und Geduld. Nichtsdestotrotz wurden unzählige Lieder mit Noten, Bibelsprüche und Gedichte per Hand immer wieder geduldig abgeschrieben. Wer eine schöne Handschrift hatte, wurde öfters darum gebeten, etwas abzuschreiben. Oma meines Mannes hatte eine verschnörkelte Handschrift, man bat sie ebenfalls oft um die Abschreibung*. Jeder Chorsänger hatte sein eigenes Heft.

Die Mädchen (Frauen) haben oft ihre Gesangbücher auf ihren Namen bestellt, sprich mit dem Hinweis des Dorfes und des Jahres auf dem Deckblatt, z.B. – Agatha Wiebe, Rudnerweide, 1893*.  Oder Sara Penner, Grossweide 1898, auf dem Aufkleber im Buch drinnen  steht – Buchbinderei von H. Ediger, Berdjansk.*

Ich selber, habe zwei Exemplare aus zwei verschiedenen Jahren von “Liederkästlein von Hiller”*. Leider, haben die weder Deckblatt noch Rückseite. Daher weiß ich nicht, aus welchem Jahr stammen die Beide. Vermutlich ca. 1910. Wichtig ist, dass diese, so wertvolle Exemplare, auch weiter aufbewahrt werden müssen.
Der Begründer und Herausgeber der „Liederperlen“  Isaak Born aus Lichtfelde (s. Gemeindegesang und Gesangbücher der Mennoniten (Europa) [MennLex V]) machte die Verkaufswerbung für die Bücher in den Zeitungen.[3]

Oft sind die Bücher in einem elenden Zustand, total zerrissen und immer mehr Seiten fallen raus. Der Zahn der Zeit lässt es nicht vermeiden. Leider  werden solche Seiten einfach weggeschmissen.   Viele, sowohl Buchbindereien als auch Druckereien, bitten für die alten Bücher Reparaturen an. Man kann die neu binden lassen. Es gibt verschiedene Einbandvariationen. Nach Wunsch kann der Buchrücken  mit verschiedenen Farben ausgestattet werden, Wörter wie „Bibel“ oder „Gesangbuch“ können geprägt werden, Ornamente werden gesetzt, usw. Allerdings, es ist vor allem die Kostenfrage. Kartonband z.B. ist günstiger als Kunstleder oder gar Leineneinband. Ich kann nur empfehlen, evtl. mit der günstigen Variante diese Möglichkeit doch zu nutzen, damit die Bücher nicht noch mehr verfallen.
Wahrscheinlich ganz seltener Exemplar ist „Schatzkästchen mit Bibel – Losen“*( Frei sein – mündig werden: Die Konfirmation als pädagogisches Instrument zur …Ruhrtalmuseum Schwerte – Christine Schönebeck – Google Books, S. 249) oder Ziehkästchen genannt.[4] So wie es aus diesem Buch scheint, gab es verscheiden Varianten davon. Unsere Bibel – Losen zu Hause stammen aus dem Jahr 1829 und so schon über 200 Jahre alt. So lange hat man die in der Familie meines Mannes liebevoll aufbewahrt. Wie viele es ursprünglich waren, wissen wir nicht. Wir haben nur 90 Karten, die evtl. für 3 drei Monate gedacht sind. Man zog ein Kärtchen und las die vor den besonderen Ereignissen, wie z.B. Hochzeit, Verreisen, Beerdigung oder einfach so jeden Tag. Oben am Rande der Karte steht – 1829; links – Königsberg, rechts – bei I. Wolff, unten – zu haben. Es heißt, die Karten wurden 1829 in Königsberg gedruckt und sind bei I. Wolff zu kaufen. Die moderne Variante davon ist auch heute noch in christlichen Verlagen zu erwerben.

In den 30ger Jahren in der Sowjetunion eine Bibel zu Hause zu haben, könnte für die Familie schlechte Folgen haben. Um die alten Bibeln und Gesangbücher mit nach Deutschland zu nehmen, die in den Familien all die Jahre mit Risiko aufbewahrt wurden, müsste man eine Genehmigung bekommen. Die Bücher wurden inoffiziell zu “Достояние народа” – Volkseigentum. So auch wir in Usbekistan mussten in die Hauptstadt Taschkent (in den anderen Republiken wahrscheinlich ihre Hauptstädte) fahren, um die schriftliche Genehmigung dafür zu holen. Unsere Eltern fuhren nach die Hauptstadt Taschkent, mit dem formlosen Stück Papier, für den Stempel „Разрешено к вывозу из СССР“* („Genehmigt für die Ausfuhr aus der UDSSR“). Die Bibel unter Nr. 1 (auf der Liste) hatte weder Deckblatt noch Rückseite und daher ist das Druckjahr unbekannt. Dadurch wurde sie ohne weiteres genehmigt. Wir zu Hause wissen, dass die aus dem Jahre 1896 stammt.

Außerdem fast jede Familie hat alte schöne und einzigartige Erinnerungen von ihren Ahnen, wie z.B. alte Gedicht- und Schulhefte,   Schulzeugnisse,[5] Poesiealben, Lesezeichen*, “Vergissmeinnicht”*,  Postkarten*, Geschichts-, Tage[6]– und Bilderbücher, Hochzeitseinladungen,[7] z.B., etc. Vieles hat man liebevoll mit Glanzbildern (Oblaten), trockenen Blumen, selbst gemalten Bildern oder ähnliches geschmückt.

Einige Familien besitzen noch alte wertvolle Gegenstände. Es sind alte Uhren, Tischdecken, Küchenutensilien etc., schöne Erinnerungsstücke von ihren Ahnen.

Leider, leider, haben viele beim Umzug nach Deutschland aus Angst, das die alte Bücher und andere wertvolle Sachen, könnten ihnen weggenommen oder nicht erlaubt mitzunehmen werden, haben die drüben gelassen, in der Hoffnung, dass die nächste „Welle“ der Verwandtschaft, die nach ihnen kommt, das mit bringen kann oder sogar teilweise eigenhändig verbrannt.

Es gingen unzählige Artefakten unwiderruflich und für immer verloren.


[1] Die Links, die hier eingefügt sind, s. auf Chortitza – Mennonitische Geschichte und Ahnenforschung, s. z.B. Untitled  Werbung  von Verlagsgesellschaft „Raduga“ in Halbstadt     

[2] s. dazu z.B. Brief 83.265-267 – Brief-83.265-267.pdf

[3] s. dazu z.B. Zeitung “Zions-Bote” vom 1. Juni 1892, S. 4Kopie der Zeitung „Zions-Bote“ Nr. 13, vom 30. März 1898, S. 1

[4] Wilhelm Penner, Lehrer aus Ak – Metschetj in den Briefen an seinen Bruder Johannes in USA, erwähnt öfters sein Zieh – Kästchen –  s. dazu z.B. Briefe aus Chiwa. Brief Nr. 26, Nr. 27,

[5]  s. dazu z.B. Zeugnis aus dem Jahr 1820,

[6] s. zahlreiche Tagebücher auf der Seite, z.B. Tagebuch aus den Jahren 1871-1888 von Johannes Dietrich Dyck (1826 – 1898), Oberschulze in Am Trakt Kolonie.

[7] s. dazu   p66902.jpg (JPEG-Grafik, 1100 × 894 Pixel) – Skaliert (64%)

Elena Klassen

Elena Klassen

Elena Klassen ist seit 2012 dabei. Sie schreibt: "Ich Elena Klassen (geb. Dick), geboren 1964 in Fergana, Usbekistan, UDSSR. Bin verheiratet, habe eine Tochter, die mir bei meiner Recherchen und Schreiben mit Korrekturen und guten Rat immer bei Seite steht. Bin 1991 mit meiner Familie nach Deutschland gekommen und wohne in Petershagen, Nordrein-Westfalen. Arbeite als Postbote bei der Deutsche Post AG. Vor ca. 10 Jahren habe ich für mich eine Leidenschaft für unsere Geschichte entdeckt. Meine Ahnen stammen aus Südrussland (Lindental, Schönwiese) und Aulie-Ata, Turkestan. Meine Generation ist eine Verbindung zwischen Kindern und Grosseltern, zwischen Gestern und Morgen. Unsere Aufgabe ist das Wissen unserer Urväter festzuhalten und weiter an die nächsten Generationen zu vermitteln. Die Nachkommenschaft darf diesen "Ariadnefaden" nicht verlieren. Die entstehenden Lücken können nie wiederhegestellt werden. Unsere Pflicht ist das Interesse an unserer Geschichte an die weiteren Generationen zu erben." Email: anklassen (AT) t-online (PUNKT) de
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